Dein Reich komme!
Mexiko-Stadt, den 1. Juni 2020
Liebe Freunde im Herrn,
Grüße aus Mexiko mitten in der Corona-Krise. Ich hoffe, dass Ihr Leben langsam aber sicher seinen gewöhnten Rhythmus findet, bereichert durch die außerordentliche Erfahrung der letzten Monate.
Ich fürchte, dass wir in Mexiko Opfer mehrerer Sonderheiten sind und die Krise noch lange zu bekämpfen haben. In der Tat hat die Infektionswelle zuerst Europa und dann die Vereinigten Staaten erreicht, und erst nachher Mexiko. Da unsere Behörden aber sehr wenig mit Naturwissenschaften am Hut haben, und da sie auch zeigen wollten, dass sie verantwortlich handeln, haben sie fast gleichzeitig zu den USA Ausgangssperren eingeführt. Das heißt, wir sind seit dem 16. März eingesperrt, obwohl das Virus erst vor einer Woche angefangen hat zu wüten.
Das führt dazu, dass die Menschen es satthaben und aus reiner Frustration anfangen, ihre Häuser zu verlassen, genau in dem Augenblick, wo die Ansteckungsgefahr am höchsten ist. Sie sehen in den Nachrichten, dass Europa das Zusammenleben wieder anfängt, die US-Amerikaner auch. Es ist schon eine große Herausforderung, brav zu Hause zu bleiben. Dazu hat man die Tatsache, dass die meisten Mexikaner von dem Leben, was sie gestern oder heute verdient haben (in Afrika ist dieses Phänomen sogar viel schlimmer). Man kann ihnen nicht einfach sagen, sie müssen drei Monate zu Hause bleiben. Sie müssen hinaus, um sich das tägliche Brot zu verdienen.
Ähnliches betrifft die Priester und die Ordensfrauen. Laut Kirchengesetz müsste im Grunde genommen der Bischof dafür sorgen, dass seine Priester das Nötige fürs Überleben haben (s. Kan. 384). Aber aus verschiedensten Gründen ist dieses Gesetz in den meisten Diözesen Mexikos ein reiner Wunschtraum. Man muss nicht vergessen, dass nach mexikanischem Recht die Kirche während über 70 Jahre verboten war: Es war den Bischöfen unmöglich, regelmäßige Gehälter für ihre Priester zu organisieren. Nach der Legalisierung der Kirche 1992 kamen die meisten Bischöfe nicht dazu, das Problem zu lösen. Resultat: die große Mehrzahl der Priester in Mexiko haben kein festes Gehalt. Das führt zu riesen Problemen: Ich habe Priester gekannt, die in echter Misere leben. Häuser ohne Fenster, dreckig, kalt und nass. Priester in schmutziger, abgetragener Kleidung. Priester ohne Krankenversicherung, ohne die Mittel, nötige Arznei zu kaufen. Und so weiter. Und auf der anderen Seite: Priester, die sich regelrecht zanken, eine reiche Pfarrei zu bekommen, damit sie nicht hungern. Priester, die am Wochenende 10 bis 20 „Gottesdienste“ anhäufen (Hochzeiten, Erstkommunionen, Geburtstags- und Totenmessen), wiederum damit sie genug zum Überleben haben (in Mexiko ist es üblich, ca. 50 Euro für einen Gottesdienst zu verlangen!).
Ich will Sie mit diesen Beispielen nicht schockieren: Das sind Bräuche, die offiziell strengstens verboten sind und weniger aus Gier als aus Not geschehen. Was ich doch damit verständlich machen will, ist eben die große Not, die dann entsteht, wenn man diesen Priestern sagt: macht die Kirchen vier Monate zu! Plötzlich ist das wenig weg, das sie hatten. Ähnlich ist es mit Ordensschwestern. Viele, viele von ihnen leben nur von dem, was sie unter der Woche backen oder zusammenbasteln und dann am Wochenende wie Bettler vor den Ausgängen von Kirchen (mal von dem Pfarrer erlaubt, mal nicht...) verkaufen. Kekse, Honig, Pullis, Brotkörbe usw. Diese Schwestern haben auch seit dem 16. März kein Einkommen und müssen schauen, wie sie zu Recht kommen.
Ich erzähle all das, damit Sie Einblick bekommen in eine Realität, die der europäischen – und vor allem der deutschen! – völlig fremd ist. Die Idee im deutschen Sprachraum, dass ein Priester oder eine Ordensfrau nicht wüsste, ob es heute was zu essen gäbe... Aber so ist es.
Das ist nicht nur in Mexiko der Fall. An vielen Stellen in Lateinamerika und in Afrika erleben Priester und Ordensfrauen eine große materielle Unsicherheit. Die Idee beunruhigt mich seit langem und ich bin dankbar dafür, dass die Corona-Krise mich bezwungen hat, mich mit dem Thema intensiver zu befassen. Denn es gibt Priester und Ordensfrauen in meiner unmittelbaren Nähe (3 km entfernt!), die diese Situationen durchmachen. Wir organisieren Hilfspakete und Geldspenden, damit sie überleben (sehen Sie die Fotos im Fotobericht, der dieses Mal ausschließlich dieses Thema beschildert). Aber ich habe mich auch dafür entschieden, zusammen mit KANELA eine Hilfsorganisation zu gründen, um das Problem langfristig zu lösen. In diesen Wochen habe ich einen Kreis von Freiwilligen zusammengestellt, die v.a. Folgendes machen wird:
· Engagierte, hart arbeitende Priester in Lateinamerika und Afrika identifizieren, die keine regelmäßige Einkommensquelle haben
· Feststellen, wie viel Geld ein Priester oder Kloster braucht, um würdig zu leben
· Die Mittel suchen, dies zu ermöglichen
Ich weiß, dass die Not viel größer ist, als das, was wir tun können. Wir werden aber mindestens etwas tun können. Ich denke zum Beispiel an Father Edward in Malawi, der bald sein 2. Priesterjubiläum feiert. Er rackert sich für seine Gemeinde ab, bekommt kein Gehalt. Seine Leute können ihn einfach nicht unterstützen, sie hungern selber. Wir haben ihn eine Zeitlang mit 5 Euro am Tag unterstützt, er ist der glücklichste Mensch der Welt!
Liebe Freunde, Verzeihung, dass ich so lange über das Gleiche geschrieben habe. Zu viel Zeit in der Quarantäne! Mit Bezug auf Afrika ist alles ziemlich in der Warteschleife: dort auch haben die Politiker gesagt, alle müssen zu Hause bleiben, auch in Ländern wie Sambia, wo fast kein Coronavirus vorhanden ist. Was ich über Mexiko geschrieben habe, kann man ziemlich genau auf Guatemala, El Salvador und Nicaragua übertragen. Kanada aber bringt einen Schimmer der Hoffnung, da „CANELA Canada“ langsam aber sicher neue Wohltäter findet und bekannter wird.
Eigentlich wollte ich in diesem Brief über die Wichtigkeit der Katechese schreiben, das Blatt ist aber fast zu Ende. Das wird fürs nächste Mal warten müssen. Ich bin aber überzeugt, dass eine gute Katechese („Bildung“ in Glaubenssachen) die Basis ist für einen tragenden Glauben und, letzten Endes, ein tragendes Leben. Nach dieser Krise bin ich sicher, dass Sie mir lange von den Gefahren und Misserfolgen erzählen könnten, die aus einer mangelhaften Bildung entstehen!
Ich wünsche Ihnen Kraft, Geduld und auch Enthusiasmus für die kommenden Monate. Beten wir füreinander und besonders für die Priester und Ordensfrauen, die trotz der schwierigen Situationen weitermachen.
Ich vergesse Sie, Ihre Familie und Ihre Anliegen in meinem Gebet nicht!
(P. Robert Havens)
Anschrift in Mexiko: Bosques de la Reforma 486 – Col.Bosques de las Lomas – 11700 Ciudad de México – MEXIKO
Der Freundeskreis für die Unterstützung der katholischen Neuevangelisierung in Lateinamerika und Afrika, e.V. ist wegen Förderung gemeinnütziger Zwecke von der Körperschaftssteuer befreit. Unsere Spender erhalten von uns im Laufe des Jahres eine gesonderte Zuwendungsbestätigung (Spendenquittung). Sie erhalten auch jährlich einen Bericht über die Anwendung der erworbenen Spenden.
KANELA, e.V. Am Schlossberg 3 85104 Pförring-Wackerstein kaneladeutschland@gmail.com
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